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Liebe
Freunde des Tanzes, seit den 1990er Jahren habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, die Tanzkulturen des Orients und der Südsee einer interessierten Öffentlichkeit nahe zu bringen. Dabei möchte ich zeigen, dass Tänzen ethno-orientalischen Ursprungs - zu denen der klassisch ägyptische Raqs Sharqi (besser bekannt als "Bauchtanz") ebenso zählt wie der Hawaiian Hula - ein eben solcher Stellenwert als ernst zu nehmende Kunstform zusteht wie den im Westen etablierten Ausdrucksformen des Ballett, Modern Dance und Showtanzes. Seither werde ich - bei Auftritten ebenso wie im Unterricht, in Fernseh-Interviews ebenso wie in Presse-Gesprächen - immer wieder mit einer Reihe von Fragen konfrontiert. Einige der wichtigsten möchte ich hier beantworten: Was ist das Typische am Oriental-Tanz? In Tänzen ethno-orientalischen Ursprungs spricht - wie in allen Tänzen weltweit - die Sprache des Körpers und der seele. Mit einem entscheidenden Unterschied: Ethno-Oriental-Tänzer/innen "buchstabieren" ihren Körper anders als z.B. Balletttänzer/innen. Denn die ethno-orientalische Tanzsprache beruht auf einem Bewegungsvokabular, das seit Jahrtausenden aus der Mitte des Körpers (dem Rumpf-Becken-Bereich) heraus entwickelt wurde. Nur in diesem Sinne mag die Bezeichnung "Bauch-Tanz" zutreffend sein für alle Formen der Bewegung, in denen der Mensch sich und andere in seiner Leibesmitte bewegend erlebt. Begriffe wie
Woher stammt der Oriental-Tanz? Diese durch og. Kriterien beschriebene Art aus der Mitte zu tanzen ist so alt wie die Menschheit selbst und stammt aus Afrika, wo auch die Wiege des Menschen zu finden ist. Fest "geerdet" mit den flachen Füßen auf dem Boden, dabei das Becken LS Zentrum seiner Vitalität spürend, wurde sich der Mensch seines Daseins auf der Erde, seines Eingebunden-Seins in die Welt und seines Gemeinsam-Seins mit anderen bewusst. Frühe archaische Tanzrituale entstanden, die Fruchtbarkeit und Fortpflanzung zum Inhalt hatten. Man kann segen: "der Mensch tanzt, seit er ist", oder: "alles Sein ist Bewegung", aber auch "die (Art der) Bewegung bestimmt das Sein". Seit den frühen Hochkulturen in en Flusstälern Afrikas, Asiens und Indiens entwickelte sich der Tanz in seinen kultischen und profanen Formen in vielfältiger Weise. Tanztraditionen entstanden, die noch heute in landestypischen Folklorestilen gepflegt werden. Bewegungen "wanderten" - etwa mit den Reisen der Zigeuner - Jahrhunderte lang von Land zu Land, trafen dort auf "einheimische" Tanzarten und so entstanden immer wieder neue Ausdrucksformen. Und es entwickelten sich in den einzelnen Ländern die heute als "klassisch" bezeichneten Tanzformen ethno-orientalischen Ursprungs. Als wichtigste seien hier - nur sehr unvollständig ! - die klassischen Tanzstile Indiens (Bharatanatyam, Kathak u.a.), Spaniens (Flamenco) und vor allem Ägyptens (Raqs Sharqi) genannt. Tanz ist immer (in) Bewegung, und Bewegung ist immer im Fluß. Demnach ist die Entwickluing des ethno-orientalischen Tanzes nie abgeschlossen und hält bis zum heutigen Tag an. Mehr noch: Dieser "interkulturellen Befruchtung" aus ethno-orientalischen Traditionen hat "der Westen" seit Anfang des 20. Jahrhunderts entscheidende Erweiterungen seines tänzerischen Horizontes, Körperbildes und Kunstverständnisses zu verdanken. Auf dieser Basis ist die Entwicklung des modernen Ausdruckstanzes zu verstehen, den "exotische" Tänzerinnen wie Ruth St. Denis, Isadora Duncan, Mata Hari und Josephine Baker zelebrierten. Im Gegenzug wurde die ägyptische Musik- und Tanztradition seit den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts von westlichen Vorbildern, insbesondere der US-amerikanischen Filmindustrie, der französischen Revue-Kultur und des Musical-Genres beeinflusst. Die Geburt des "Bauch-Tanzes" aus dem Geiste des Ost-West-Dialogs?! Der heutige Oriental-Tanz zeigt sich uns als eine Kunstform, die sich über die Jahrhunderte in stetigem Austausch und wechselnden Anteilen von Ost und West, Orient und Okzident entwickelt hat und weiter entwickeln wird. Im Orient existiert der Tanz heute in den unterschiedlichsten Formen und in verschiedenen Sphären: als "Tanz des Volkes" (Baladi) ist als spontaner Improvisationstanz Teil der Alltagskultur auf dem Land und in den Städten und wird von Jungen und Mädchen ab Kindesbeinen bei Familienfeiern per Nachahmung erlernt. Tänze der Bauern (Fellahi), der Fischer (Manbouti) oder der Handwerksmeister Südägyptens (Saidi) sind ebenso Teil des traditionellen berufsständischen Sozialgefüges wie die Tänze ob ihrer Bildung geachteter Berufstänzerinnen (Awalim) oder kultivierter Damen vornehmer Herkunft (Hawanem). Tänze der ägyptischen Zigeunerstämme (Ghawazee) sind ebenso wie die Tänze der Berber und Beduinen Teil ihrer jeweiligen ethnischen Identität. Tanzrituale wie der Zar (Trancetanz) in Ägypten und der Geburtstanz bzw. die Guedra in Marokko werden seit vorislamischer Zeit als volksmedizinisches Mittel zelebriert (eine archaische Form der "modernen" Tanztherapie ?!). Und die ägyptische Tanoura ("Rocktanz") hat - vergleichbar mit dem türkischen Derwisch-Tanz - gar eine in den Islam eingebundene religiös-spirituelle Motivation. Parallel zu diesen "Volks-Tanz-Formen", bei denen es nie eine strikte Trennung von Tanzenden und Zuschauenden gab, entwickelte sich im Orient - besonders im Hauptland Ägypten - seit Anfang der 1920er Jahre der Orientalische Tanz als Kunst-Tanz auf der Bühne für ein zu unterhaltendes Publikum. Der Oriental-Tanz wurde integrativer Bestandteil einer - ständig westlich beeinflussten - Bühnen-, Show- und Filmkultur. Dabei änderte sich sein Gesicht: es entstand das, was wir heute Raqs Sharqi nennen (wörtlich: "der Tanz aus dem Osten"), d.h. der klassisch-orientalische Solo-Tanz (im landläufigen verständnis "Bauchtanz" genannt), wobei - trotz immer ausgefeilterer Choreographien ägyptischer Choerographen - das orientalische Ideal der Improvisation zugleich beibehalten und vor allem in der Kunst des Taqsim kultiviert wurde. Im Taqsim offenbart sich "die Seele" eines Auftritts, es ist der freie Tanz auf die regelhafte (!) Improvisation eines oder mehrerer Instrumente (z.B. Oud - Laute, Kanoun - Zither, Nai - Rohrflöte, neuerdings auch Geige, Saxophon, Orgel, Keyboard). "Das Herz" - und damit dramaturgischer Höhepunkt - des Tanzes hingegen ist das Darbukka-Solo (auch Tabla-Solo, Drum-Solo, "Trommel-Solo"), d.h. der Tanz zu den komplexen Rhythmen einer oder mehrerer Trommel(n). An der "Geburt" des heutigen Oriental-Tanzes als Kunstform im 20. Jahrundert in Ägypten hatten Tänzerinnen wie Badia Masabne, die mit Eröffnung ihres "Casino Opéra" 1927 in Kairo dem Oriental-Tanz eine erste entscheidende Bühnen-Plattform bot, Naima Akef, Samia Gamal und Tahia Carioca, später Nagua Fuad und Suheir Saki entscheidenden Anteil. Unvergessen auch die "Königin der Mohammed-Ali-Straße", Nazla Al-Adel: Sie machte den Raqs al Shamadan, den Tanz mit dem Kopfleuchter, aus der Folklore-Tradition der ägyptischen Zigeunerinnen stammend zu einem integralen Bestandteil des orientalischen Bühnenrepertoires, rettete zugleich dieses authentische Stück ägyptischen Baladi-Tanzes vor dem Vergessen und kreierte damit eine auch im Westen besonder geschätzte Kunstform. Noch heute bin ich dankbar, dass ich zu ihren Schülerinnen zählen durfte. Der Oriental-Tanz heute Choreographen wie Mahmoud Reda, Prof. Hassan Khalil und natürlich mein "Lieblings-Choreograph" Hassan Afifi recherchierten überall im Land die Tänze, bearbeiteten die so vorgefundenen Folklorestile für die Bühne, schufen klassische an westlichen Standards orientierte Tänze und entwickeln den Oriental-Tanz bis heute ständig weiter. Der Tanz nimmt dabei ständig neue Impulse auf, ohne jedoch seine typischen Merkmale zu verlieren. Vor diesem Hintergrund stellt sich die frage nach Authentizität und Individualität, Tradition und Kreation für jede/n Tänzer/in immer wieder neu, wenn es letztlich darum geht, auf der Basis von Technik-ABC und Bewegungs-Repertoire in Umsetzung der Musik einen eigenen persönlichen Stil und Ausdruck zu entwickeln. Der Oriental-Tanz heute umfasst neben den traditionellen Stilen des Baladi und den länder- und regionaltypischen Folklore-Tänzen sowie den klassischen Ausdrucksformen des Raqs Sharqi eine Vielzahl von Fantasy-Stilen und Mix-Kreationen:
Semira B. Karg M.A. im Juni 2005. |